07. Mai 2015 auf einer Studienexkursion in Haslach an der Mühl

 

 

 

Ich arbeite an einem Projekt zum Thema Psychiatrie und Gesellschaft. Teil des Konzepts ist es, philosophische und medizinische Literatur zu lesen. Ich bin ziemlich müde, das Vorhaben scheint zu stagnieren. Auf einer Sitzgarnitur vor einem Pflegeheim-Neubau lasse ich mich nieder und beginne ein Buch querzulesen. Foucault schreibt über einen Monarchen (Georg III., König von England) im Kontext der Entstehung der Psychiatrie. 1788 wurde Georg wahnsinnig. Der königliche Prunk wich einer isolierten Zelle, die mit Matratzen ausgelegt war. Zwei seiner ehemaligen Pagen kümmerten sich um ihn. Der König ist auf die Machtlosigkeit reduziert ... Es ist eine anonyme Macht ohne Namen ... Während sich die souveräne Macht im wesentlichen durch die Symbole ... Eine alte Frau, die kurz zuvor den Außenbereich der Pflegeeinrichtung betreten hat, geht auf mich zu und bleibt an dem Zaun, der sie vom öffentlichen Raum trennt, stehen. Zwischen uns liegen circa drei Meter. Die Greisin spricht mich an: „Sie lassen mich hier auch nicht rein!?“ – Ich verstehe ernst nicht recht; finde keine Worte. Mehrfach wiederholt sie einige Sätze und spricht alle Menschen in ihrem Blickfeld an.

 

Sie lassen mich hier auch nicht rein?!

 

Sie ham auch kein Schlüssel ned..?

 

[für das zugesperrte Tor, das das Altenheim vom öffentlichen Raum trennt]

 

Ich will hier rein.

 

Ich versuche der Frau zu erklären, dass ich nicht Teil des Personals der Pflegeeinrichtung bin und keinen Schlüssel habe. Eine Frau mittleren Alters, die sich auf eine Zigarettenlänge zu mir gesellte, um wenig später das Gebäude zu betreten, entgegnete der offensichtlich dementen Frau in einem versucht-freundlichen Tonfall: „Sie wohnen jetzt hier. ... Sie können drinnen mit den Schwestern sprechen.“ Danach schaut sie mich betroffen an und murmelt so etwas wie „alt werden ist nicht einfach; hoffentlich fall ich um, bevor ich so werde.“ Beide versuchten wir der Greisin klarzumachen, dass wir nicht für sie zuständig seien und doch sind wir Teil einer Gesellschaft, die Abweichungen definiert und aussondert.